In Brüssel besteht die Arche aus vier Häusern und aus einem Tageszentrum. In den Häusern leben jeweils bis zu acht Menschen mit Behinderung in einer Wohngemeinschaft mit den Freiwilligen zusammen. Tagsüber arbeiten die PA („personne accueillie“: so werden die Menschen mit Behinderung genannt) in dem Tageszentrum. Dort werden verschiedene Aktivitäten, wie Zeichnen, Nähen, Kommunikationskurse oder auch schwimmen angeboten.
Mich hat die Arbeit mit Menschen mit Behinderung sehr interessiert und das Konzept der Arche, wo Menschen mit und ohne Behinderung zusammenleben, hat mich schnell begeistert, weshalb ich gerne dort mein Jahr verbringen wollte. Für mich war es aber auch wichtig, sprachlich noch etwas dazuzulernen und daher wollte ich nicht in Deutschland bleiben. Bei zwei Vorbereitungsseminaren von meiner Entsendeorganisation IN VIA Köln habe ich mich dann zusammen mit ganz vielen anderen Freiwilligen auf die Abreise vorbereitet und über mögliche Herausforderungen, Ängste und Motivationen geredet.
Herbst
Am ersten September ging die Reise für mich los. Ich bin mit dem Zug nach Brüssel gefahren und wurde dort am Bahnhof von zwei anderen Freiwilligen und einer PA abgeholt. Die Bewohnerin begrüßte mich auf eine unerwartet herzliche Weise – sie hat mich, ohne etwas zu sagen für etwa eine Minute umarmt. Dies hat mir sofort ein Gefühl von Sicherheit gegeben. Wir sind dann zusammen in das Haus gefahren und dort habe ich auch die anderen Bewohner kennengelernt. Das war ein sehr schöner aber auch ein sehr überfordernder Moment für mich. Alle waren aber total freundlich und es hat sich ganz schnell wie eine große Gemeinschaft angefühlt.
Wir – ich und die anderen neuen Freiwilligen – haben gleich in der ersten Woche angefangen zu arbeiten. Zuerst wurden uns alle Aufgaben von den Educateurn gezeigt und wir haben nur zugeschaut. Mit der Zeit haben wir die Aufgaben dann aber auch selber gemacht, sodass wir in der Lage sind sie alleine auszuführen.
Die Arbeit hier unter der Woche ist in zwei Schichten aufgeteilt: die Morgenschicht und die Abendschicht. Zu den Aufgaben über den Tag gehört die Zubereitung der Mahlzeiten, alles was im Haus anfällt von Wäsche waschen, putzen, etc., die Unterstützung der Bewohner. Nach dem Essen trinken in der Regel gemeinsam Tee. Das ist meistens ein ruhiger Moment, wo wir alle zusammen auf dem Sofa sitzen. Ein großer Teil der Arbeit besteht darin einfach nur bei den Bewohnern zu sein und mit ihnen zu reden. Manchmal spielen wir auch noch ein Spiel oder puzzeln zusammen.
Die Arbeit in der Arche war für mich der erste richtige Kontakt mit Menschen mit Behinderung. Ich hatte davor ein bisschen Respekt und hatte Angst, dass mir die Arbeit schwerfällt oder ich mich unwohl fühle. Ich habe mich jedoch total schnell an den Kontakt gewöhnt. Die geistigen Behinderungen der PAs in unserem Haus sind zum Beispiel Downsyndrom oder Autismus. Wir haben aber nur ganz kurz einmal über die Arten der Behinderungen mit den Educateurn geredet und das auch erst nachdem wir alle Bewohner kennengelernt hatten. Ich fand es so sehr angenehm, da damit der Fokus von Anfang an nicht auf der Klassifizierung der Behinderung lag, sondern direkt auf der Person.
Winter
Die Adventszeit in der Arche war insgesamt aber total schön. Wir haben mit den Bewohnern zusammen den Weihnachtsbaum geschmückt und viel gesungen. Nachmittags haben wir häufig gebacken. Es gab außerdem zwei Weihnachtsfeste, die von der Arche Brüssel organisiert wurden. Das erste Fest war mit der ganzen Arche in Brüssel. Dort sind alle vier Häuser gekommen, die Menschen aus dem Tageszentrum und Freunde der Arche. Das zweite Fest war nur mit unserem Haus. Wir haben zusammen gewichtelt zwischen allen Bewohnern, allen Freiwilligen und allen Educateurn. Beim Fest haben wir dann vor allen die Geschenke ausgepackt und zusammen gegessen. Wir haben mit den Bewohnern sehr viel gesungen und getanzt und es war eine sehr positive und besondere Stimmung.
Durch das verbesserte Französisch fällt es mir leichter, mit den Menschen mit Behinderung zu reden und ich konnte eine engere Beziehung mit Ihnen aufbauen. Mittlerweile kenne ich alle acht Bewohner sehr gut und weiß auch zum Beispiel über welche Themen sie gerne reden, was sie mögen und wie ich am besten in Krisen reagieren muss. Damit habe ich aktuell sehr viel Spaß war an der Arbeit in der Arche und schätze, den engen Kontakt mit den Menschen sehr. Immer wieder erlebe ich kleine unerwartete Momente, wie zum Beispiel, dass einer der Bewohner plötzlich mit Unterhose über seiner normalen Hose dasteht oder, dass die Bewohner sich gegenseitig imitieren. Im ganzen Haus wird unglaublich viel Liebe gezeigt. Die Bewohner sagen einem sehr gerne, wie lieb die einem haben und verteilen auch sehr gerne Küsschen auf die Wange. Nicht nur bei uns Freiwilligen, sondern auch besonders unter den Bewohnern.
Frühling
Je mehr Zeit vergeht, desto deutlicher wird für mich, wie schwer mir der Abschied von der Arche Brüssel fallen wird. Ich verbringe immer mehr Zeit mit den Bewohnern in meinem Haus, begleite sie in schwierigen wie in schönen Momenten und lerne sie dabei immer besser kennen. Die emotionale Bindung wächst mit jedem Tag. In den letzten Monaten ist wieder unglaublich viel passiert und oft bemerke ich kaum, wie schnell die Zeit vergeht.
Mit dem Beginn des Frühlings und dem schöneren Wetter, hat sich die Stimmung im Haus spürbar verbessert. Die Bewohner standen morgens schneller auf und zeigten deutlich mehr Motivation, an Aktivitäten teilzunehmen. Besonders an den Wochenenden haben wir das gute Wetter genutzt und viele Ausflüge draußen unternommen. Die Arbeit an den Wochenenden bereitet mir besonders viel Freude, da wir unter der Woche meist im Haus bleiben, während am Wochenende vielfältige Unternehmungen möglich sind. So haben wir zum Beispiel häufig Spaziergänge gemacht, gemeinsam Eis gegessen oder sind schwimmen gegangen.
Abschied
Mit dem Ende meines Freiwilligendienstes in Brüssel geht ein unglaublich bedeutungsvolles und intensives Jahr zu Ende. Es war eine Zeit voller besonderer Momente, vieler Emotionen und vor allem ein Jahr voller Begegnungen, die mich tief geprägt haben.
Besonders die letzten Wochen habe ich noch einmal sehr bewusst erlebt. Ich habe die Zeit mit den Bewohnern sowie den anderen Freiwilligen noch einmal viel mehr wertgeschätzt. Auch außerhalb der eigentlichen Arbeitszeit war ich bei Aktivitäten dabei, habe mitgegessen oder einfach nur Zeit mit den Personen im Haus verbracht. Mir wurde dabei noch einmal deutlich, wie sehr mir die Menschen ans Herz gewachsen sind und wie wohl ich mich in diesem Umfeld gefühlt habe.
Rückblickend auf das gesamte Jahr gab es viele Höhen und Tiefen und ich hatte zwischendurch auch mal Momente, in denen ich mir nichts mehr gewünscht habe, als wieder zu Hause bei meiner Familie zu sein und zu gehen. Insgesamt zum Ende hin bleibt mir aber alles Positive viel mehr in Erinnerung und ich sehe eine unglaubliche Zeit, in der ich total glücklich war.
Ich denke immer noch sehr viel an die Zeit in der Arche in Brüssel und bin traurig, dass die Zeit vorbei ist, bin gleichzeitig aber unglaublich glücklich, dass ich das Jahr so dort erleben durfte. Zu Beginn dachte ich, dass in Brüssel anzukommen und mich einzuleben das Schwerste sein wird, im Nachhinein war aber der Abschied von Brüssel und von den Menschen in der Arche noch viel Schwerer. Das Jahr wird für immer ganz besonders sein – und Brüssel bleibt mein zweites Zuhause.