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Anouk, Einsatzzeit: 2024 bis 2025:Erfahrungsbericht L'Arche Cork, Irland

Abi; Sommertage; Vorbereitungsseminare und auf einmal saß ich im Flugzeug, gucke aus dem Fenster und unter mir sehe ich die Kliffküste Irlands.
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Bevor ich in diesem Flugzeug saß, hatte ich zwei Vorbereitungsseminare. Neben den inhaltlichen Themen haben mir die Wochen jede Menge Vorfreude gegeben und vor allem Freunde mit denen ich mich über die Seminare hinaus über all unsere Erfahrungen austauschen kann. So richtig realisiert, dass ich jetzt wirklich auf dieses kleine Abenteuer gehe, habe ich erst als ich aus dem Flugzeug gestiegen bin und die leicht salzige Luft von Corks Küste ausgehend gerochen habe.

Ankunft & die ersten Wochen

Am Flughafen in Cork hat mich unsere assistants Koordinatorin abgeholt und zu meinem zugleich zu Hause und Arbeitsplatz gefahren, wo ich direkt von allen herzlich empfangen wurde. In „An Croi“, dem Haus in dem ich bin, leben insgesamt mit 10 Leuten. Darunter sechs sogenannte „Core Member“, also die Menschen mit intellektuellen Behinderungen, und vier weitere Live-in-Assistants, um unsere Core Member täglich zu unterstützen. Außerdem sind noch eine Houseleaderin, eine Vertretung, eine Live-out-Assistant und mehrere Night Staffs Teil unserer Hausgemeinschaft. Wir sind eine ziemlich bunte Mischung verschiedenster Persönlichkeiten, Fähigkeiten und Nationalitäten, darunter aus Ghana, Nigeria, Brasilien, USA und natürlich Deutschland.

In den ersten Tagen und Wochen ging es viel darum meine ganzen Mitbewohner richtig kennenzulernen und sich nicht nur deren Namen zu merken. Das Kennenlernen ist ein stetiger Prozess und ich lerne jetzt noch jeden Tag ganz neue Dinge über sie, obwohl ich dachte, dass ich die ein oder andere Person schon ganz gut einschätzen kann - oder eben doch noch nicht. Ich habe die anderen Assistants immer begleitet, wenn sie sich um die Routinen der Core Member gekümmert haben. Da wir ein großes Haus sind und immer viel los ist, kann auch mal die ein oder andere wichtige Information untergehen und dementsprechend war es auch etwas holprig mich am Anfang richtig einzufinden, aber durch viel Fragen stellen kommt man schon ans Ziel. 

Alltag

Unter der Woche starten die Tage für mich um acht und dann geht es darum all unsere Core Member bei ihren Morgenroutinen zu unterstützen, damit sie ready für den Tag sind. Das beinhaltet verschiedenste Aufgaben vom Aufwecken über Medikamentenvergabe bis hin zum Spielen des persönlichen DJs beim Duschen. Einige der Core Member gehen tagsüber in den „day service“. Das ist ein extra Gebäude der Arche, das mit einem Workshop zu vergleichen ist. Dort kommen auch einige core member aus den anderen Häusern hin und zusammen können sie unter Betreuung und je nach Bedarf mit Unterstützung zum Beispiel an Kunstprojekten arbeiten, gärtnern oder gemeinsam eine heiße Schokolade trinken. Um 12 Uhr habe ich für vier Stunden frei. Dann kommen die Core Member kommen zurück und einer der Assistants fängt immer an das Abendessen zu kochen, sodass wir um 18 Uhr zusammen essen können. Das bietet sehr viel Potenzial die eigenen Kochkünste auszubauen. Nach dem Abendessen verbringen wir den Abend zusammen im Wohnzimmer wobei zwar mit ziemlicher Sicherheit der TV läuft aber dabei wird auch mal gerne gestrickt oder einfach gequatscht bis es dann zu den einzelnen Abendroutinen kommt. Um 21 Uhr übergeben wir Assistants mit einem handover an die Nachtschicht und für uns heißt es endlich entweder müde ins Bett fallen oder noch das ein oder andere unternehmen.

Seit Oktober bin ich zusätzlich „Reference Person“. Das bedeutet das ich die Bezugsperson für eine der Core Member bin. Wir haben monatlich ein festes Treffen, in dem wir ausführlich darüber sprechen ,wie es ihr gerade geht, was sie sich wünscht oder was für Sorgen ihr gerade auf dem Herzen liegen. Aber auch im Alltag stehe ich ihr immer zur Verfügung und ich achte nochmal besonders auf sie. Auch mit ihrer Familie stehe ich in Kontakt, sodass ich hier im Haus die erste Ansprechperson für ihre Familie bin. 

Freizeit 

In meiner Freizeit probiere ich immer eine gute Balance zu finden zwischen der benötigten Erholung und dem Wunsch meine Zeit hier in Irland möglichst gut zu nutzen. Mit Blick auf die teilweise anstrengende Arbeit, habe ich gelernt, wie wichtig es ist, mir immer wieder mal nur Zeit für mich zu nehmen, um zum Beispiel zu Journalen. Journalen hilft mir sehr einen Überblick über die Zeit hier zu behalten, denn es passiert immer so viel, dass ich kaum bemerke wie die Monate vorbeiziehen. Ein Mittagsschlaf muss auch manchmal gemacht werden, aber am besten tuen mir meine aktiven Pausen, die mir dann wieder Motivation für die Arbeit geben. Dementsprechend helfe ich in meinen Pausen oft im Workshop aus, indem ich an Community Projekten mitarbeite. Zum Beispiel gärtnern wir zusammen, schnitzen etwas aus Holz oder basteln. 

In Cork sind wir eine sehr große Community aus etwa 21 Assistants. Wir haben uns besonders in den ersten Monaten wöchentlich getroffen zum Tischtennis spielen, Brettspielen und zu Movie Nights, aber relativ schnell haben sich mehrere engere Freundesgruppen entwickelt. Mit Freunden gehe ich in den Park, spazieren, wandern, in Cafés und abends gehen wir oft in die Stadt und genießen die irische Pubkultur. 

Abschied

In An Croi existiert die Tradition, dass es für jede Freiwillige die geht ein Abschiedsfrühstück gibt mit allen aus dem Haus. Zum Abschluss wird eine Kerze herumgereicht, sodass jeder der diese hält ein paar Abschlussworte an die Freiwillige richten kann. 

Der Tag, an dem ich verabschiedet wurde, war plötzlich da und es war ein seltsames Gefühl in der Rolle der zu Verabschiedenden an dem Tisch zu sitzen. Besonders schön war es abschließend die Erinnerungen an mich von den Core Membern zu hören die sehr unterschiedlich ausgefallen sind. Ein Core Member hat sich besonders an die Ausflüge erinnert, die wir zusammen gemacht haben, eine andere hat sich dazu geäußert, wie wohl sie sich immer mit mir gefühlt hat und wieder eine andere hat mich einfach umarmt und mit mir geweint. Insgesamt war der Abschied sehr emotional aber vor allem positiv. 

Die Arbeit bzw. das Zusammenleben mit Menschen mit intellektueller Behinderung ist unfassbar bereichernd und lehrhaft. Mein Freiwilligendienst mit den Core Membern hat mich hinsichtlich erstmal abstrakt erscheinender Begriffe wie „Inklusion“ oder „Behinderung“ viel sensibler und verständnisvoller gemacht. Eine „inklusivere Welt“ zu schaffen bedeutet für mich jetzt heruntergebrochen ganz klar, dass der und der Core Member trotz oder gerade wegen seiner Behinderung etwas zur Gesellschaft beitragen kann, weil er in diesem Café arbeiten kann und damit jeden tag sowohl Mitarbeiter*innen als auch Kund*innen ein Lächeln aufs Gesicht zaubert.

Zurück in Deutschland

Auch in der ursprünglichen Heimat wieder anzukommen, bedarf seiner Zeit. Ich habe mich zum Einen sehr gefreut wieder zurückzukommen, aber zum Anderen hatte ich eigentlich gerade die beste Zeit in Irland und habe die ersten Tage erst gar nicht realisiert das ich nicht mehr in An Croi aufgewacht bin. Ich fand es auch fremd wieder so viel alleine zu machen und alleine für mich zu entscheiden bei Dingen die ich in den letzten Monaten nie alleine gemacht hatte, wie zum Beispiel Essen zu kochen oder im Wohnzimmer zu sitzen und einen Film zu gucken. 

Abschließend möchte ich sagen, dass der Freiwilligendienst natürlich auch mit einigen schweren Zeiten verlaufen ist, aber nur wegen der ganzen neunen Erfahrungen und Herausforderungen konnte ich mich so weiterentwickeln wie ich es getan habe. Besonders nach der zuvor erst abgeschlossen Schulzeit, bin ich unfassbar dankbar, dass ich erstmal ein bisschen Lebenserfahrung sammeln durfte, bevor es in irgendeine Richtung weitergeht.