Erfahrungsbericht von Anoscha aus der L‘ Arche Chicago

Am 03.09 stieg ich in den Flieger, um meinen einjährigen Freiwilligendienst in der L' Arche Chicago anzutreten. Die L' Arche Gemeinde ist eine Vision, die in Frankreich im Jahre 1964 erstandenen ist und diese Vision hat sich mittlerweile über viele Länder auf der gesamten Welt verbreitet unter anderem auch in Chicago, Illinois im Jahre 2000. In der Gemeinde kommen Menschen mit und ohne Behinderungen zusammen um gemeinsam zu leben und den Alltag zu bewältigen.
Als ich am 03.09 gegen 15 Uhr aus dem Flieger stieg und mich mit einem nervösen Magen auf dem Weg zur Pass- und Visa Kontrolle machte war vor dem Flughafen eine superliebe Assistentin und ein Core Member bereits auf mich am Warten. Der ganze Prozess hat etwas länger gedauert, aber schlussendlich hat alles geklappt, ich bin durch die Kontrolle und aufgebrochen, um die Personen zu finden, die sich für meine Abholung freiwillig gemeldet haben. Nach geraumer Zeit und vielem hin und her laufen war es nun endlich so weit, mein erster persönlicher Kontakt mit der L' Arche Chicago fand statt. Die Begrüßung war warmherzig und genau das, was ich gebraucht habe.

Angekommen im Peace House, welches mein zu Hause fürs ganze nächste Jahr sein soll, half mir ein anderer Assistent beim Tragen der Koffer und zeigte mir zudem mein Zimmer. An der Zimmertür hing ein Willkommensschild, das von allen Assistenten und Core Membern vom Peace House unterschrieben wurde mit einer kleinen persönlichen Notiz. Mein erster Tag bestand lediglich aus dem Auspacken meines Koffers und dem Nachholen von ganz viel Schlaf. Die ersten paar Tage war ich so ziemlich damit beschäftigt meinen Jetlag zu bekämpfen, welcher mich unheimlich aus der Bahn geschmissen hat. Am Montag, den 05.09. hatte ich gemeinsam mit den Core Membern und den Assistenten, die zu dem Zeitpunkt im Haus waren zu Abend gegessen. Somit hatte ich meinen ersten offiziellen Kontakt mit den Core Membern vom Peace House.

Das Peace House besteht aus 4 Etagen, wenn man den Keller mit dazu zählt, einer Veranda, einem großen Garten und einer Garage. Wenn das Wetter und die Temperatur es erlauben werden die Veranda und der Garten auch ordentlich genutzt, sowohl im Alltag der Core Member und der Assistenten als auch für Partys und Veranstaltungen. Mein Zimmer befindet sich in der dritten Etage. Zudem Zeitpunkt lebte auch eine weitere Assistentin Namens Agnes auf derselben Etage. Inzwischen ist sie weitergezogen und hat eine andere Arbeitsstelle gefunden, daher bin ich leider die einzige Live-In-Assistentin im Peace House.

Als erstes stand das DSP-Training an (DSP = Direct Support Person), indem wir erlernt haben, was die Rolle eines DSP's eigentlich mit sich bringt und wie wir am besten von Hilfe sein können, als auch was gestattet ist und nicht. Wir waren insgesamt fünf neue DSP's, drei Freiwillige aus Deutschland und zwei weitere aus den Staaten selbst. Es hat ungefähr eineinhalb Monate gedauert, bis wir mit dem Training komplett durch waren. Meistens bestand das Training aus einer herkömmlichen Unterrichtsform, ab und zu fand jedoch eine eher praktische Variante statt, wie z.B. Erste-Hilfe, Formen ausfüllen und vieles mehr. Mit dem Beginn der zweiten Woche wurden wir nun auch zum Observieren von den bereits eingeübten Assistenten eingeteilt. Hierbei lag der Fokus besonders darauf zuzuschauen und ein Gefühl der Routine zu entwickeln. Sobald das Observieren erledigt war und wir uns sicher fühlten, durften wir auch schon Hand anlegen und uns selbst austesten in den alltäglichen Aufgaben. Kochen zum Beispiel ist ein großer Bestandteil und da John nur glutenfreies Essen zu sich nehmen darf, hab ich bis heute noch einiges dazu zu lernen. Ein weiterer Teil der Aufgaben ist für Ordnung und Sauberkeit zu sorgen, dies tue ich manchmal mit einem Core Member oder auch allein. Ansonsten richte ich mich grundsätzlich nach den Wünschen der Core Member. Wir bezeichnen unsere Arbeitszeit nicht als Schicht, sondern als 'sharing life'.

John, Jean und Casey haben tagsüber ihre Arbeit 'Arts of Life', die sie beschäftigt hält mit dem Kreieren von Kunstwerken. Noah ist der Einzige, der momentan keinen Beruf ausübt, da er auf Grund der Pandemie seine Arbeit aufgeben musste, doch er ist sehr einfallsreich und hält sich beschäftigt.

Zu guter Letzt, wenn ich mal gerade nicht im Haus bin und life share, entdecke ich Chicago. Es ist wunderschön hier, eine riesengroße Stadt mit Gebieten, die einer Vorstadt ähneln, aber auch die Innenstadt, welche aus enormen Wolkenkratzern besteht. Chicago hat viel zu bieten und jeden Tag gibt es etwas Neues zu entdecken.

Gleich nach meiner Ankunft stand schon so einiges an, unter anderem eine Seminarwoche mit der ganzen L'Arche Gemeinde aus Chicago. Es ging am 21. Oktober los zum Retreat mit allen vier Core Membern und einer weiteren Assistentin setzen wir uns in den Van und brachen auf. Die Fahrt war ungefähr eine Stunde lang und wir kamen ohne großartige Probleme an. Als wir ankamen erhielten wir alle ohne Verzug unsere Schlüssel für die jeweiligen Zimmer. Zu meiner positiven Überraschung erhielt ich ein Zimmer gemeinsam mit Paula, was uns beide sehr erfreut hatte, da wir noch etwas Zeit brauchten um uns mit den anderen Assistenten vertraut zu machen. Für den ersten Abend stand nicht viel an, lediglich das Abendessen. Bis Sonntagmittag, dem Abfahrtszeitpunkt trafen wir uns alle im Gemeinschaftsraum, um über das fünf Jahresmandat aufgeklärt zu werden, darüber Konversation zu betreiben und diese festzuhalten. Als kleine spaßige Unterhaltung gab es Samstagabend eine Talentshow und ein Lagerfeuer mit S'mores. Das Retreat war eine super Gelegenheit die anderen Core Member und Assistenten kennenzulernen und Freundschaften zu bilden.

 

Im Anschluss gehe ich mal einen ganz typischen Tag im Peace House durch. Meine Arbeitszeit fiel besonders auf den Nachmittag und Abend. Diese Schicht beginnt um 15 Uhr und endet um 22 Uhr. An einem herkömmlichen Mittwoch steht um 15 Uhr erstmals eine große Runde UNO an. Noah hat das ganze ins Leben gerufen, um so wieder mehr unter Menschen zu sein, nachdem die Regeln der Pandemie-zeit etwas gelockert wurden. Für genau eine Stunde wird hart darum gekämpft in UNO zu siegen, hierfür sind alle Häuser, das Büro und Freunde der Gemeinde eingeladen. Danach geht es weiter zum Kochen fürs Abendessen, das muss nämlich genau um 18 Uhr fertig sein und auf dem Tisch stehen, da Noah sehr auf Die Uhrzeit achtet und ungern von Gewohnheiten abweicht. Während das Essen zubereitet wird, nimmt Casey meist ein Bad oder schaut gerade Barney auf dem Fernseher, John puzzelt oder duscht, Jean sitzt in ihrer Ecke und hört entweder Musik oder schaut einen Film und Noah nimmt eine einstündige Pause vom UNO spielen und um fünf Uhr recherchiert er am Computer nach Tieren, die zu dem Thema der Woche passen. Sobald das Abendessen serviert ist, setzen sich Noah, John, Casey und alle Assistenten, die zu dem Zeitpunkt arbeiten an den Esstisch. Jean bleibt auch zur Essenszeit an ihrem eigenen Tisch in der Ecke der Küche sitzen, dass sie es lieber hat, wenn es ruhig und das Licht gedämmt ist, sie ist schnell überfordert mit zu vielen Leuten an einem Fleck und an ihrem Platz kann sie diese gut für sich selbst ausblenden. Bevor wir mit dem Essen loslegen, wird die Kerze auf dem Esstisch angezündet und jemand meist Casey) sagt ein kurzes Gebet auf und dann geht es auch schon los. Entspannte Unterhaltung wird nebenher geführt. Gegen 19 Uhr haben wir alle fertig aufgegessen und sind bereit zum Abräumen. Jeder bringt seinen eigenen Teller und Besteck zur Spüle. Daraufhin wird erstmals sauber gemacht und aufgeräumt. Wir schmeißen die Wäsche in die Waschmaschine, Staubsaugen, Staubwischen, füllen die Spülmaschine und machen sie an, reinigen die Bäder, nehmen den Müll raus und sorgen für etwas Ordnung im Wohnzimmer, in der Küche und im Keller. Nachdem alles wieder so aussieht, wie es am Morgen aufgefunden wird steht das Schreiben von Noahs Zeitplan für den Folgetag an. Dieser wird am Esstisch gemeinsam geschrieben, währenddessen hat Noah einen Schokoriegel, da das seine Snack-zeit ist. Um exakt 21 Uhr macht er sich fertig fürs Bett und hört sich etwas Musik auf dem Computer an um sich genau um 22 Uhr schlafen zu legen. John setzt sich hin und schaut etwas fern, er liebt es Züge anzuschauen, aber neuerdings ist er ganz vernarrt auf eine Show Namens 'The Rifleman'. Casey macht sich nach dem Essen auf den Weg in die obere Etage, um dort etwas Musik zu hören und dazu sein Tanzbein zu schwingen. Jean bleibt in ihrer Ecke sitzen, bis sie müde ist und sobald das geschieht macht sie sich auf den Weg in ihr Zimmer. Nachdem alle Core Member versorgt sind und sich in ihren Zimmern aufhalten, machen wir uns an die Lunchpakete ran. Wir bereiten den Core Membern ihr Mittagessen für den Folgetag bei der Arbeit bzw. dem Tagesprogramm vor. Letztendlich trifft die Nachtschicht um 22 Uhr ein und ich bin frei, um auf mein Zimmer zu gehen. Offensichtlich kann jeder Tag jedoch etwas anders aussehen, sobald die kleinste Veränderung vorliegt, sind wir gezwungen den Tag so zu gestalten, dass wir garantieren können, dass die Core Member die bestmögliche Pflege erhalten, die wir bieten können.