Erfahrungsbericht von Patrick aus der L’ Arche Boston North, USA

Hello everybody! How are you? Seit meiner Ankunft sind bereits fast drei Monate vergangen. Wie ist das nur möglich? Ich kann das nicht nur glauben, sondern will es auch nicht glauben, da somit ein Viertel meines Auslandsjahres vorbei ist, was mich traurig stimmen lässt. Zum Glück bleiben mir noch die restlichen drei Viertel, die ich kaum erwarten kann und mich schon auf alles total freue, was ich so erleben werde.

Meine Einsatzstelle ist die L’ Arche Boston North. Sie liegt nicht in Boston, sondern genauer gesagt in Haverhill bzw. Bradford, eine Stadt mit 60.000 Einwohnern. Bereits bei einem der ersten Orientation Meetings habe ich herausgefunden, dass viele mit diesem Namen nicht ganz zufrieden sind. Mir wurde mitgeteilt, dass einer der Hauptgründe für diese Namensgebung war, dass man sich nicht L’ Arche Boston nennen wollte, da man eine mögliche Arche-Gründung in Boston selbst nicht unnötig komplizierter machen wollte. Da Haverhill ungefähr 35 Meilen nördlich von Boston liegt, kam man so auf den Namen L’ Arche Boston North. Unglücklicherweise wurde die Entscheidung über diesen Namen vom Office getroffen, ohne Rücksprache mit den core members, den assistants oder den Freunden der Arche. Letzten Endes ist es aber nur ein Name und er hat keinen Einfluss auf das Leben in der Community hier.

Ich wohne, wie auch schon der German Volunteer vor mir, im Nazarean House, einem der vier Häuser, die zur Arche gehören. Mit mir wohnt hier noch ein weiterer American Assistant und natürlich die vier core members, J., K., M. und D. Aller Anfang ist bekanntlich schwer, doch wurde mir dieser so einfach wie möglich gemacht. Mein erster Monat hier bestand hauptsächlich aus shadowing, d.h. ich durfte erst mal zuschauen und alle Abläufe kennen lernen. Dafür bin ich vor allem meinem „Boss“, dem Head of House Ariana, sehr dankbar. Auf diese Weise hatte ich Zeit, mit dem Zeitunterschied, der neuen Sprache und den vielen neuen Eindrücken fertig zu werden. Unter anderem konnte ich auch viel Zeit mit den core members verbringen, ohne ans Kochen oder andere Pflichten zu denken. Ich kann nach den ersten drei Monaten voller Überzeugung sagen, dass ich sie schon so sehr ins Herz geschlossen habe und wie meine Family betrachte.

An dieser Stelle möchte ich euch kurz schildern, wie ein typischer Tagesablauf im Naz House aussieht. Der Tag beginnt um 7.00 AM. Es sind immer mindestens zwei Assistants für eine Schicht, hier „sharing time“ genannt, eingeteilt. J. und M. sind komplett selbstständig. Sie brauchen keinerlei Hilfe bei ihren morgendlichen und auch nachmittäglichen Routinen. Bei K. und D. sieht das jedoch anders aus. Sie müssen aufgeweckt werden, brauchen support beim Duschen und Frühstück machen und an sich ist immer ein Assistant jeweils für D. oder K. während des Tages verantwortlich. Spätestens um 9.00 AM sind dann alle vier bei ihren daily programs, die ganz unterschiedlich aussehen und die bis mindestens 3.00 PM andauern. Eine Ausnahme ist J. Das Besondere bei ihr ist, dass sie nur mittwochs und freitags für zwei Stunden arbeitet und dass sie bis zu sechs Stunden allein zuhause bleiben darf, worauf sie sehr stolz ist. Somit kann jeder Assistant seine Zeit in den sechs Stunden frei gestalten. Normalerweise kommt dann am Nachmittag D. als erster zurück nach Hause und verbringt seine Zeit bis zum Abendessen mit TV oder YouTube schauen, wenn er nicht noch andere Appointments hat, wie z.B. guitar lesson. Etwas später ist dann auch M. zurück und sie macht Wort wörtlich ihr eigenes „Ding“ den ganzen Tag. K. ist dann die letzte und somit ist die Family wieder vereint. Ihr Nachmittag besteht hauptsächlich aus Duschen und alles fertig machen für den nächsten Tag, wobei sie einfach etwas länger braucht. Das resultiert leider darin, dass sie sehr wenig „Freizeit“/Zeit zum Entspannen am Nachmittag bis zum Abendessen hat. Das Wiederrum versuchen wir dahingegen auszugleichen, dass sie meistens entscheiden darf, ob sie am Abend gerade TV, einen Film schauen oder einfach nur entspannen will. However, Abendessen ist das gemeinsame meal, wo wir über unseren Tag reden, wie es uns geht und einfach beisammen sind – wie in einer Family auch. Danach folg das alltägliche Gebet, was entweder nur aus Singen bestehen kann oder jeder sagt, wofür er heuten danken und beten will. Den Tag lassen wir dann sehr oft mit einem Film oder einer Fernsehsendung ausklingen. Zudem müssen dann die beiden Assistants noch die daily notes und daily progress notes schreiben, die hauptsächlich für DDS sind, dem Sponsor der Arche hier. Und somit endet der Tag zwischen 9.00 PM and 9.30 PM.

Wie ihr bis hierhin vielleicht schon gemerkt habt, spreche ich bereits jetzt schon gerne von Family und Home. Das liegt einfach daran, dass sich das genauso für mich anfühlt. J., M., K. und D. sind meine Family. Nicht nur, weil ich at Naz ein Assistant bin, sondern hier auch mein Zimmer habe. Das ist definitiv mein erstes zuhause. Mein Zweites ist das Gym, Cedardale. Ein brandneues Fitnesscenter, was aber eigentlich viel mehr als das ist. Man kann dort Tennis, Volleyball und Basketball spielen und es gibt sogar einen Indoorpool. Dort verbringe ich ein Teil meiner Freizeit. Einen anderen Teil verbringe ich in der Garage, mein drittes zuhause hier. Darüber werden jetzt bestimmt einige schmunzeln, aber ich mag es einfach sehr, Sachen zu reparieren oder neu zu bauen. Unter anderem haben Andre, ein Assistant und bereits guter Freund von mir, und ich so den Garagenmotor repariert, der anscheinend seit über 11 Jahren nicht mehr funktioniert hat. In dieser Art und Weise versuche ich über meine eigentliche Arbeit hier als Assistant hinaus, der Arche etwas zurückzugeben. Ich sehe das sozusagen als Dankeschön an, dass ich hier sein darf, worüber ich superglücklich bin!!! Ansonsten unternehmen wir als Assistants auch immer wieder mal etwas. Einmal waren wir schon zusammen in Boston, doch meistens treffen wir uns nach 9.00 PM irgendwo und reden über unsere Arbeit, die core members oder das Leben generell.

An den ersten Moment, bei dem ich das erste Mal erfahren durfte, dass ich hier genau richtig bin, erinnere ich mich nur zu gern. Es war an einem Mittwoch, genauer gesagt beim Geburtstagskartenbasteln. Bis zu diesem Zeitpunkt befand ich mich eher in der Rolle des Beobachters und des Neuen; das lag vor allem daran, dass ich mich noch nicht wirklich getraut habe, auf die core members zuzugehen und mit ihnen persönlich etwas zu machen. Zu unsicher fühlte ich mich noch in der englischen Sprache und ich wusste einfach nicht, was ich spontan machen könnte. Doch an dem besagten Mittwoch hat mich zum ersten Mal der Mut gepackt und ich fragte K., ob sie nicht vielleicht Hilfe gebrauchen könnte. Glücklicherweise sagte sie "Yes". Mann, war ich erleichtert, doch zugleich wusste ich nicht genau, wie ich ihr helfen kann. Mit bisschen spionieren bei den anderen assistants und core members war es dann doch gar nicht so schwer und ich konnte K. zumindest dabei helfen, die verschiedensten Sticker, Aufkleber und Stempel in ihre Reichweite zu holen und sie zu fragen, was sie denn gerne auf die Geburtstagskarte kleben oder stempeln und für den Adressaten gestalten wollte. Das war echt schön, zu sehen, wie kreativ sie ist und auf was für Ideen sie kam, auf die ich nicht gekommen wäre. Warum erinnere ich mich so gerne an diesen Moment? Weil er mir in gewisser Weise gezeigt hat, dass mich K. akzeptiert hat und sie es zugelassen hat, dass ich ihr helfen durfte. Es war nur eine kleine Begegnung, eine leise Annäherung, doch hat sie mir so viel bedeutet. Danke dir K. dafür! Von dem Moment an war ich deutlich selbstbewusster und habe K. wieder meine Hilfe angeboten, als es um die Gestaltung der Kondolenzkarten für die verstorbene Mutter von Jen (Head of Community) ging. Sie hat mein Angebot gern angenommen. So schwer ist das doch gar nicht!

Mit D. hatte ich auch schon ein paar bewegende Momente. Am Anfang gab es jedoch ein großes Hindernis für mich: Er kann nicht sprechen und somit war es mir kaum möglich, mit ihm zu kommunizieren. Stattdessen hat er seine eigene sign/body language. Zum Glück hat D. keine großen Berührungsängste. Das hat mir sehr geholfen, da er oft einfach mit einem leichten Antippen einen auf sich aufmerksam macht und dann einen mehr oder weniger bittet, ihm zu folgen, da er entweder einem etwas zeigen will oder weil er Hilfe braucht. Dabei ist er sehr oft sehr dramatisch, was sich in seinem fast hysterischen Lachen zeigt oder wenn er so traurig ist, dass er sich an einen assistant anschmiegt und fast nicht mehr wegwill. Des Öfteren will er dann mit einem TV oder YouTube schauen; seine Lieblingssendungen sind TV Shopping Channels, die er den ganzen Tag schauen könnte und sein Lieblingssänger ist Bruce Springsteen, den er fast schon vergöttert. However, mit der Zeit lerne ich immer mehr von seiner individuellen Sprache kennen und das hat unsere Beziehung deutlich verbessert. Außerdem vertraut er mir immer mehr. Das folgende Ereignis hat mir das Wort wörtlich nahegebracht. Ein paar Abende lang ist er oft gleichzeitig mit mir ins Bett gegangen - natürlich in unterschiedliche - obwohl er eigentlich das sonst allein kann. Eines Abends wollte er noch schnell aufs Klo gehen. Nichts ahnend habe ich ihn währenddessen kurz gefragt, ob er noch Hilfe braucht. Daraufhin war er fertig mit seinem Geschäft. Er hat die Tür geöffnet und sich über das Waschbecken gebeugt. Erst mal wusste ich nicht, was los war und was ich tun sollte. Doch dann verspürte ich diesen stinkenden Geruch in meiner Nase. Alles klar, jetzt wusste ich was los war und was ich wohl zu tun hatte. Den Rest kann sich wohl jeder denken. Erstaunlicherweise war mir das nicht so unangenehm, wie ich befürchtet habe. Als ich dann schlussendlich in meinem Zimmer war, wurde mir bewusst, dass das seinerseits ein Zeichen des Vertrauens war. Das hat mich so glücklich gemacht, dass ich voll vergessen habe, dass ich gerade einem den Popo abwischen musste!

 

Außerdem durfte ich in den vergangen vier Wochen auch im Pat House aushelfen, da sie dort kein volles Team sind und somit auf die Hilfe von den anderen Assistants angewiesen sind. Das Schöne ist, dort leben 5 core members und ich verstehe mich super mit vielen von ihnen. Mittlerweile ist mein Englisch auch so gut, dass ich wirkliche Konversationen führen kann, was einfach nice ist. Ein weiterer Grund, warum ich das Haus so mag, ist, dass dort viel mehr zu tun ist. Ein Assistant macht Dinner, der andere macht lunch für den nächsten Tag, der andere unterstützt die core members in verschiedenen Tätigkeiten. Alles ist so viel mehr voller Leben hier! Außerdem konnte ich viel schneller eine Vertrauensbasis zu den Bewohnern aufbauen und damit auch schon nach ein paar Tagen selbstständig den core members bei ihren abendlichen Routinen unterstützen. Das ist so schön!!