Bevor ich mein Auslandsjahr angetreten habe, habe ich mich so gut wie möglich darauf vorbereitet. Ich kann mich gar nicht mehr genau daran erinnern, wann ich beschlossen habe, nach der Schule einen Freiwilligendienst im Ausland zu machen, aber 2018 wurde alles ein klein wenig realer.
Nach einem Prozess von Bewerbungen und Auswahl habe ich schließlich IN VIA Köln als Entsendeorganisation für mich gewählt, weil mir vor allem der familiäre Umgang sehr gefallen hat. Diesen habe ich bis zu meiner Abreise auch intensiv genutzt. Ich kann gar nicht mehr zählen, wie oft ich im Büro bei Jana, die für mich zuständig war, angerufen habe, um sie mit meinen Fragen zu bombardieren.
Abgesehen von einem einwöchigen Praktikum an einer Gehörlosenschule in Bochum, gab es noch zwei Vorbereitungsseminare. Diese waren wirklich sehr hilfreich, um sich besser auf das Jahr vorzubereiten. Zuerst dachte ich, dass diese eher unnötig sind und ich diese Tage auch besser verbringen könnte. Aber durch die Vorbereitungsseminare wurde mir erst bewusst, wie ernst es langsam wird.
Während dieser Seminare wurden wir zum Beispiel auf mögliche Situationen vorbereitet, die in unserem Jahr passieren könnten. Wir haben auch gelernt, wie wir gegebenenfalls mit Krisensituationen umgehen sollten und was wichtig ist, um dort mit anderen aber auch mit einem selbst im Einklang zu sein. Was meines Erachtens aber die größte Bereicherung der Seminare war, sind die Freundschaften, die daraus entstanden sind. Denn auch wenn wir uns alle insgesamt nur zwei Wochen gesehen haben, war das Gemeinschaftsgefühl sehr groß. Diese Freundschaften können einem auch innerhalb des Jahres weiterhelfen, da die meisten alle das gleiche im Ausland machen. So kann man sich untereinander austauschen und auch unterstützen.
Am Freitag, den 31. August habe ich endlich zusammen mit meiner Mitfreiwilligen Hanna meinen Freiwilligendienst in Edinburgh angetreten. Bereits während der Fahrt vom Flughafen zur Arche, haben wir uns ein Taxi besorgen schon in die Stadt verliebt, denn das Zusammenspiel aus den alten Gebäuden und der Natur ist wunderschön.
Ich wurde als erstes zu meinem neuen Zuhause, das „Creelha“ Haus genannt wird, gebracht, und mich hat auch gleich meine Hausleiterin Yvonne empfangen. Da wir abends angekommen sind, saßen die Bewohner*innen, Core Member genannt, im Wohnzimmer und haben einen Film geguckt, ein Freitagabend-Ritual.
Anfangs habe ich vor allem bei organisatorischen und häuslichen Tätigkeiten unterstützt. So bin ich mit Maeve, einer Arbeitskollegin, zu Tesco gefahren, um Lebensmittel einzukaufen. Samstags findet immer das große „grocery Shopping“ statt und ich war wirklich geschockt, wie viele Mengen an Lebensmitteln man braucht, um alle im Haus zu versorgen. Als Beispiel kann ich nennen, dass jedes Mal 20 Flaschen Milch eingekauft werden. Insgesamt haben wir zwei Einkaufswägen gebraucht, um alles zu verstauen und das Staunen der anderen Leute war nicht zu übersehen.
Innerhalb der ersten Wochen wurde ich langsam eingearbeitet und habe bei den Morgen-und-Abend-Routinen zugeguckt.
Zu den Aufgaben der Assistants, zu denen auch ich gehöre, kann ich sagen, dass wir morgens die Core Member aufwecken und für den Tag startklar machen. Dabei hängt es aber von Person zu Person ab, wie viel Hilfe diese jeweils brauchen. Bei mir im Haus müssen nur zwei geweckt und in Abständen erinnert werden, zum Frühstück zu kommen. Anderen brauchen Hilfe beim Duschen und Anziehen. Vor dem Frühstück bekommen dann alle ihre Medikamente. Außerdem wird morgens vor dem Frühstück immer das Haus geputzt, also Bäder gesäubert, die Sofas desinfiziert, die Küche gereinigt und gesaugt.
Innerhalb der Woche hat jeder Core Member ein Tagesprogramm von 9-15 Uhr, zum Beispiel Lachyoga, auf einer Farm arbeiten oder in die Bücherei gehen. Was aber nie fehlen darf ist ein „Cup of Tea“ oder ein Kaffee. Zu diesen Programmen muss ich die Core Member allerdings nicht begleiten, weil dafür extra Leute von einer Agentur kommen.
Am Wochenende steht kein festes Programm an. Alles steht unter dem Motto Entspannung, um genug Energie für die Woche zu tanken. Manchmal werden sonntags Dinge erledigt, die unter in der Woche nicht geschafft wurden.
Traditionell ist sonntags auch ein Kirchenbesuch vorgesehen. In meinem Haus geht aber nur eine Bewohnerin regelmäßig in die Kirche.
Warm gegessen wird abends und dafür ist auch immer ein Assistant zuständig. Generell wird hier gesund gegessen und viel Wert darauf gelegt, möglichst alles selbst zu machen. Was ich aber sagen muss ist, dass Käse hier das Lieblingstopping überhaupt ist. In meiner ersten Woche wurde zum Beispiel Kartoffelpüree mit Käse gekocht. Mir wurde auch bereits am Anfang gesagt, dass alle die in das „Creelha“ Haus kommen, aufgrund des guten Essens und der Kuchen an Gewicht zunehmen.
Nach dem Abendessen findet wieder eine große Putzaktion statt, in der der Tisch abgeräumt wird, die Teller und Gegenstände vom Kochen gesäubert werden und der Essenraum, sowie die Küche gewischt wird. Wenn all dies geschafft ist, wird sich zusammen in das Wohnzimmer gesetzt und wieder einmal ein „Cup of tea“ getrunken. Am späteren Abend beginnt dann für jeden Core Member individuell die Abendroutine. Wenn alles rund läuft, ist dann um 22 Uhr die Schicht vorbei und ich habe Feierabend.
Abgesehen von meiner Arbeit versuche ich natürlich in meiner Freizeit Edinburgh so gut wie möglich kennenzulernen. Was mir gleich am Anfang aufgefallen ist, dass hier keiner wartet bis die Ampel grün wird. Glücklicherweise haben Hanna und ich beide donnerstags und freitags unsere freien Tage, so dass wir immer zusammen was unternehmen können. Wir waren zum Beispiel schon auf dem 251 Meter hohen Berg, dem „Arthurs Seat“ und haben von dort aus die wunderschöne Aussicht über Edinburgh genossen.
Einmal sind wir zu dem Dalkeith Country Park gefahren, in dem wir toll wandern gehen konnten. Des Öfteren laufen Hanna und ich auch einfach nur in der Stadt herum oder in unserem Viertel „Leith“ und stöbern ein bisschen durch die Läden, wo es für uns noch so vieles zu entdecken gibt.
Bei schönem Wetter kann man sich aber auch perfekt in einen Park setzten, denn von denen gibt es in Edinburgh wirklich an jeder Ecke welche. Generell kann ich zu Edinburgh sagen, dass die Stadt sehr viel Grün besitzt und immer eine schöne Aussicht zu bieten hat.
Worauf meine Hausleiterin sehr viel wert legt ist, dass alle Putzregeln und die Ordnung eingehalten wird. Das kann dann manchmal echt witzig werden, wenn du deine Aufgabe nicht perfekt ausgeführt hast. Ich denke ihr Lieblingssatz ist: „We start with perfection and improve this“. Letztens habe ich zum Beispiel die Handtücher nicht richtig sortiert und wurde danach erst einmal aufgezogen. Es ist aber niemals böse gemeint und genau das liebe ich an meinem Haus. Der Humor hier ist einfach fantastisch. Es vergeht hier keine Stunde, ohne dass jemand lacht. Ich habe die Core Member und meine Kolleg*innen schon richtig in mein Herz geschlossen und es fiel mir auch sehr leicht, mich zu integrieren. Ich weiß noch, dass ich vor meiner Abreise Angst hatte, keinen Anschluss zu finden, aber diese Bedenken sind absolut nicht mehr vorhanden.
Abgesehen von der beruflichen Verantwortung, die man übernehmen muss, muss ich hier auch mehr auf eigenen Füßen stehen. Das beginnt schon bei den kleinen Dingen, wie mich selbst zu erinnern zu putzen oder meine Wäsche zu waschen. Ich musste hier aber auch ein Bankkonto eröffnen und eine „national insurance number“ beantragen, was aber gar nicht so schwierig war wie gedacht.
Zusammenfassend kann ich sagen, dass ich sehr froh über meine Entscheidung bin, dieses Jahr angetreten zu haben. Die Menschen sind hier alle total herzlich und ich glaube das Wort „lovely“ ist aus meinem alltäglichen Sprachgebrauch nicht mehr zu streichen. Die Menschen sind hier sehr bemüht, dass es dir gut geht und du dich wohl fühlst. Allerdings, hat mich die Frage „How Are you“, die dir alle fünf Minuten gestellt wird, mich am Anfang schon ein wenig verwirrt hat. Die Schotten oder allgemein Briten sind sehr höflich. Ich glaube, dass war sogar mit das schwierigste, darauf zu achten, dass ich immer alle Höflichkeitsformen verwende und nicht für unhöflich gehalten werde.
Ein weiterer Satz, den ich hier sehr oft höre ist, dass keiner perfekt ist. Ich kann mit den Leuten hier tiefgründige Gespräche führen, aber gleichzeitig auch zusammen wie Verrückte herumtanzen und singen, was sehr oft während des Putzens geschieht. Ich glaube, dass ich innerhalb dieses Jahres sehr viel von anderen lernen kann und sich meine Sichtweise auf bestimmte Dinge wahrscheinlich ändern wird. Außerdem werde ich wahrscheinlich als Profi-Köchin und -Putzfrau wiederkommen.