Erfahrungsbericht L'Arche Edinburgh, Schottland

Emma, Einsatzzeit 2022 - 2023

Vor circa einem Jahr hat meine Reise mit IN VIA angefangen. Erst vor kurzem habe ich in meinen Snapchat Memories einige Videos gesehen, die ich vor einem Jahr aufgenommen habe. Da hatte ich ein Zoomgespräch mit Lindsey, einer (ehemaligen) Mitarbeiterin von der Arche. Am gleichen Abend habe ich die informelle Benachrichtigung bekommen, dass sie mich im kommenden Jahr gerne bei sich willkommen heißen würden. Ich habe dann direkt nach Bildern von Edinburgh gesucht und war ganz bezaubert von den schönen Häusern… :D 

 

Der nächste große Schritt, nämlich die Bewerbung für das Visum, war weniger schön. Das man sich dafür erst mit 18 Jahren bewerben kann war mir nicht bewusst, und deshalb waren die Tage um meinen Geburtstag relativ stressig und voll Unwissenheit – Jeden Moment hätte ich eine Bestätigung für das Visum bekommen können, was dann ja im Endeffekt auch so war. Dann ging es natürlich direkt ans Zug, Bus und Hostel buchen, das Packen war zu diesem Zeitpunkt zum Glück schon relativ weit fortgeschritten. 

 

Am 5. September 2022 ging es dann endlich los nach Edinburgh. Relativ früh musste ich mich in Offenburg von meiner Familie verabschieden. Mit einem TGV bin ich nach Paris gefahren und von dort mit dem Eurostar Zug nach London! Die Schlange für den Zug war sehr lange, da es ähnlich wie bei einem Flughafen ablief. Ich musste durch Pass- und Ticketkontrolle und mein Gepäck wurde durchleuchtet. Danach kam ich in einen Wartebereich, in dem ich ca. eine Stunde auf das Boarding gewartet habe. Im Eurostar ging dann alles schnell. Die Durchfahrt durch den Eurotunnel ging ungefähr 20 Minuten, und dann war ich endlich in Großbritannien! Angekommen am Bahnhof habe ich mich mit einem großen Koffer, einem schweren Rucksack auf dem Rücken und einem kleineren Rucksack auf den Weg zur Tube gemacht. Es dauerte eine Weile, bis ich verstanden habe, welche U-Bahn ich nehmen muss, um zu meinem Hostel zu kommen. Als ich das irgendwann herausgefunden habe und in meinem Zimmer ankam, habe ich eigentlich nur schnell mein Gepäck abgestellt und mich auf den Weg in das Stadtzentrum gemacht. Da ich nur einen halben Tag in London hatte, wollte ich diese Zeit so gut wie möglich nutzen. Ich habe dort einige Sehenswürdigkeiten, zum Beispiel Big Ben und den Buckingham Palace, angeschaut und bin allgemein sehr viel gelaufen, trotz meiner U-Bahn Tageskarte... Den Abend habe ich im „Leicester Square“ verbracht. Dort gab es Live-Musik und die Atmosphäre war großartig. Alle haben getanzt und gesungen – ein super Auftakt für das Auslandsjahr. 

Relativ früh bin ich wieder in mein Hostel zurück, da ich am nächsten Tag ja eine achtstündige Busfahrt vor mir hatte! Diese Fahrt ging im Nachhinein sehr schnell vorüber, ich war natürlich aufgeregt und voll Vorfreude. Irgendwann wurde ich von Michael (dem Deputy Leader meines Hauses, also der stellvertretende Haus Leader) kontaktiert, der mich vom Busbahnhof abgeholt hat und wissen wollte, wann ich dort ankommen werde. Mit ein bisschen Verspätung habe ich Edinburgh am 6. September gegen 18:30 Uhr erreicht. Dort haben Michael und ein Bewohner auf mich gewartet. 

 

Die Namen der Menschen mit Behinderung, mit denen ich arbeite, darf ich leider nicht nennen, weshalb ich in diesem Bericht nur Initialen nennen werde. Das ist vielleicht erstmal merkwürdig zu lesen, hier arbeiten wir aber eigentlich fast ausschließlich mit Initialen, wenn wir E-Mails/ Nachrichten über die Core Member (die Bewohner der Häuser) schreiben, um den Datenschutz zu wahren. Das gibt euch also schon jetzt einen kleinen Einblick in meine Arbeit ;).

Michael und SM haben mich dort also abgeholt, was erstmal etwas ungewohnt war, da ich keinen der beiden kannte und nicht ganz wusste, wie ich mit SM reden/ kommunizieren sollte. Da er aber am Anfang sowieso nicht viel gesagt hat, hat sich das so sowieso erledigt und ich habe einfach mit Michael geredet. Wir sind dann ein Stück entlang der bekannten Princes Street gelaufen und ich habe u.a. das Scotts Monument und den Waverly Bahnhof gesehen. Von dort haben wir dann ein Taxi nach Leith, der Teil Edinburghs, in dem ich lebe, zu „The Skein“ genommen. Das ist der Name meines Hauses. 

Kurzer Abstecher: L’Arche in Edinburgh besteht aus drei Häusern, und vier Wohnungen. Neben „The Skein“ gibt es „David’s House“ und „Creehla“. In beiden anderen Häusern leben und arbeiten andere deutsche Freiwillige, weshalb ich alle dort schon gut kenne. In den Wohnungen leben Menschen mit Behinderung, die etwas selbständiger sind und mit weniger Unterstützung auskommen. 

 

Nun zurück zu meiner Ankunft in meinem Haus. An meinem ersten Abend hier war Jacquie (House Leader) und Angus am Arbeiten. Ich habe zuerst mein Gepäck in mein Zimmer gebracht (was super gemütlich und schön ist) und bin dann zum Abendessen runter gegangen. Da das Essen hier immer um 18 Uhr ist, waren alle anderen aber schon fertig und ich habe mir Kartoffelbrei in der Mikrowelle aufgewärmt. Dann war ich etwas unsicher, was ich nun machen sollte, da ich nicht direkt wieder in mein Zimmer verschwinden wollte. Also habe ich mich ins Wohnzimmer gesetzt, wo ich dann auch Alea kennengelernt habe. Sie ist ebenfalls eine Deutsche Freiwillige, und die andere „Live-in“ in meinem Haus. Das ist die Bezeichnung für diejenigen, die in den Häusern leben. Alle anderen werden als „Live- outs“ bezeichnet. Mit ihr hatte ich davor schon etwas Kontakt, aber da wir von unterschiedlichen deutschen Organisationen kamen, kannten wir uns nicht wirklich. 

Gleich am Anfang habe ich mich total Willkommen gefühlt. JB (ein weiterer Bewohner), hat mich umarmt und auch SM hat seinen Arm um mich gelegt und sich an mich gekuschelt. Da ich erst kurz davor ein Praktikum in der Lebenshilfe in Achern gemacht hatte, kannte ich diese Art von Körperkontakt schon, weshalb ich kein Problem damit hatte. Alle verstehen aber auch, wenn man das nicht mag und mir wurde gleich am Anfang das Makaton Zeichen für „Space“ (also Abstand) beigebracht. Makaton ist angelehnt an Gebärdensprache, eine Art zu kommunizieren, in der Sprache und Gebärden benutzt werden. 

 

JB und SM sind beide fast gehörlos und sprechen nicht gut, weshalb Makaton ein wichtiger Teil jedes Tages ist. Das war am Anfang zwar etwas kompliziert und ich wusste oft nicht, was sie mir sagen wollten, doch mit der Zeit lernt man viele Gebärden quasi nebenbei, weshalb die Kommunikation mittlerweile gut funktioniert. 

Am nächsten Morgen hatte ich dann tatsächlich Angst, runter zum Frühstücken zu gehen. Es kam mir komisch vor, sich in einem (noch) fremden Haus einfach am Kühlschrank zu bedienen, weshalb ich Alea (die auch erst einen Tag vor mir ankam) geschrieben habe, ob wir zusammen runter gehen wollen. Das hat dann alles problemlos geklappt, aber es war trotzdem noch eine Weile ungewohnt, einfach so die Sachen im Haus zu benutzen. Es ging zum Beispiel einige Tage, bis ich mich getraut habe, mir selbst etwas zum Mittagessen kochen. Mittlerweile ist das aber für mich selbstverständlich und ich gehe immer runter, wenn ich Hunger habe. 

 

Am Donnerstag war dann mein erster Arbeitstag. Ich habe die ersten Tage/ Wochen „geshadowed“, also die erfahrenen Mitarbeiter beobachtet, wie sie die Routinen der Bewohner*innen machen. Mein Haus besteht aus vier Menschen mit „learning disabilities“, drei Männern und einer Frau. JB und SM habe ich schon erwähnt. Mit ihnen hat man immer super viel Spaß, sie sind beide richtig witzig und bringen oft alle im Raum zum Lachen. 

JB’s Morgen- und Abendroutine besteht hauptsächlich daraus, Cremes aufzutragen. Außerdem muss man bei ihm aufpassen, dass er nicht die ganze Zeit die Spülmaschine ein-und ausräumt, da er das sehr gerne mag. SM kann seine Cremes selbst auftragen, man muss ihn aber darauf hinweisen und ihn dabei beobachten. Außerdem ist es echt schwer, ihn morgens aufzuwecken, da er am liebsten im Bett bleiben würde. Meistens schafft man es aber doch, ihn so aufzuwecken, dass er pünktlich zu seiner Arbeit kommt.

DP hat Autismus und er redet nicht. Für ihn muss deshalb alles immer zur richtigen Uhrzeit passieren (z.B. Abendessen um Punkt 18 Uhr, Abendroutine ohne Unterbrechung usw.) Seine Routinen sind deshalb immer gleich, morgens unterstütze ich ihn beim Duschen, wasche seine Hände, putze seine Zähne und künstliches Gebiss und trage seine Creme auf. Abends läuft das ganze ähnlich ab. 

Er liebt es, spazieren zu gehen, was anfangs etwas komisch ist, da man einfach nur stumm nebeneinander herläuft. Eigentlich macht das aber auch sehr viel Spaß, man kann die frische Luft und Bewegung genießen und einfach seinen eigenen Gedanken nachhängen. 

Diese drei Routinen habe ich gleich von Anfang an gelernt und relativ schnell auch selbst gemacht. 

 

Ich kann mich noch sehr gut an das Gefühl erinnern, als nach genau einer Woche „lead“ (also „führen“) statt „beobachten“ im Arbeitsplan stand. Ich musste dann also die Routinen selbst machen, und wurde dabei von anderen, mehr erfahreneren, Mitarbeitern beobachtet. Davor war ich sehr aufgeregt und hatte Angst, etwas falsch zu machen. Damit war ich aber zum Glück nicht allein. Alea ging es genauso und wir konnten uns darüber gleich sehr gut austauschen. Im Endeffekt ging aber alles gut und mittlerweile kommen mir die Routinen leicht vor. 

Bei der Routine der weiblichen Bewohnerin KL habe ich das erste Mal nach 2-3 Wochen zugeschaut. Diese geht von allen am längsten und ist am „anstrengendsten“, sie macht mir aber auch am meisten Spaß da es immer sehr witzig ist. Morgens fängt man damit an, sie zu duschen. Da KL im Rollstuhl sitzt macht man das mit der „Commode“, einem Rollstuhl, der für die Dusche und das Klo gedacht ist. Danach zieht man sie an und wechselt ihren Stomabeutel, da sie einen künstlichen Darmausgang hat. Das hat mich am Anfang etwas abgeschreckt, mittlerweile funktioniert das aber sehr gut und bereitet mir gar keine Probleme. 

Danach wird auch sie eingecremt. Von einem Stuhl in den anderen oder vom Bett auf den Rollstuhl bewegt sie sich mit einem Sliding Board. Das ist ein grünes Brett, welches man unter sie schiebt, die andere Seite des Bretts liegt auf dem Rollstuhl auf. Sie kann sich dann selbst mit ihrer Hand und Füßen über das Brett ziehen. Nach kleineren Aufgaben wie Haare kämmen und ihr das Deo geben macht sie sich auf den Weg ins Esszimmer. Sie kann sich im Rollstuhl selbst fortbewegen, das geht aber sehr langsam, weshalb ich ihr auch oft dabei helfe. Entweder schiebt man sie, oder man reicht ihr die Hand damit sie sich etwas ziehen lassen kann. 

Während sie ihr Frühstück isst, steht für die Assistants das Putzen an, egal ob man für KLs Morgenroutine oder für die der Männer zuständig ist. Je nachdem für wen man eingeteilt ist, putzt man das Bad im Erdgeschoss und KLs Zimmer oder die Badezimmer im ersten und zweiten Stockwerk. 

Bei der gerade beschriebenen Routine habe ich die ersten Tage nur zugeschaut, danach habe ich angefangen sie selbst zu machen, während ich dabei von erfahreneren Assistants beobachtet wurde. Zu diesem Zeitpunkt fiel mir die Routine noch nicht so leicht, da KL immer noch Probleme mit mir hatte. Als an einem Abend aber der Mitarbeiter, mit dem ich die Schicht hatte, kurzfristig mit einer anderen Person zum Impfen fahren musste, war ich mehr oder weniger gezwungen, sie allein zu machen. Das lief überraschend gut, und KL schien keine Probleme mit mir zu habe, worüber ich mich unglaublich gefreut habe. 

KL liebt es, in Bibliotheken, Cafés und Second Hand Shops zu gehen, was auch mir immer sehr viel Spaß macht. Ein weiterer Vorteil ist es, dass man während der Arbeitszeit nicht für Essen/ Trinken bezahlen muss. Wenn man in einem Café also ein Stück Kuchen will, wird das bezahlt ;). 

Gerade um die Weihnachtszeit wird es wohl einige Community Aktivitäten geben. Es gibt von der Arche einige Gatherings/ Versammlungen, wo Core Member, Mitarbeiter, aber auch einfach nur Freunde der Arche Gemeinschaft versammelt sind, reden, singen und essen. 

 

Am Freitag, den 9. Dezember wird es abends eine „Carol Night“ geben. Zu dieser sind die Leute aller Häuser eingeladen und es werden Weihnachtslieder gesungen. Außerdem soll es Glühwein und Kinderpunsch (für den bin ich zuständig…) geben! 

Am Sonntag werden wir alle zusammen einen Weihnachtsbaum holen und am Mittwoch darauf wird es ein Christmas Dinner in einem Restaurant geben. Ich bin außerdem sehr gespannt auf das eigentliche Weihnachtsfest. Das wird hier traditionell am 25.12. gefeiert. Leider werden zwei unserer Core Member an dem Tag zu Hause bei ihren Familien sein, weshalb es bei uns voraussichtlich etwas ruhiger wird. 

 

Ein Live-In zu sein ist für jeden, mit dem ich bis jetzt gesprochen habe, eine ganz besondere

Art zu Leben – Klar, so was hat man ja auch höchstwahrscheinlich noch nie davor erlebt! Zwar wurde mir von jedem gesagt, wie intensiv und ungewöhnlich diese Erfahrung sein wird, aber so richtig verstanden habe ich das doch erst, seit ich mich hier so richtig eingelebt habe.

Ein wunderbar passendes Beispiel ist gerade erst passiert. Ich kann selbst entscheiden, ob ich meine Zimmertür von innen abschließen will (da ich es meistens vergesse, ist sie eigentlich außer abends immer offen…). Ich war gerade dabei, mein Zimmer aufzuräumen, als JB die Tür aufmacht und hereinschaut. Nachdem er mich mit „Hi Pal!“ ganz lieb begrüßt hat, war seine zweite Bemerkung „A mess!!“ (Also: „Unordnung!!“). Damit hat er sich natürlich auf mein Zimmer bezogen (wobei er wohl nicht wirklich unrecht hatte…). Dann hat er sich kurz umgeschaut, hat in Glas mit nach unten genommen und ist wieder gegangen. DP schaut auch sehr gerne in mein und Aleas Zimmer rein. Er belässt es aber meistens einfach beim Reinschauen, und geht dann ein paar Sekunden später wieder.

Auch wenn ich mir vorstellen kann, dass sich das für den ein- oder anderen vielleicht etwas

befremdlich anhört, ist es tatsächlich das Gegenteil davon! In solchen Momenten fühlt es sich für mich so an, als würde ich mit vier meiner guten Freunden zusammenleben, was ja auch irgendwo so ist ;). Da muss aber natürlich auch erwähnt werden, dass man logischerweise sein Zimmer auch komplett abgeschlossen lassen kann. Niemand erwartet, dass wir die Privatsphäre, die uns durch unser Zimmer bleibt, auch noch „aufgeben“; das ist jedem selbst überlassen.

Genauso macht es total viel Spaß, abends nach seiner Schicht unten bei allen zu sitzen und

Zeit mit ihnen zu verbringen. Das ist zwar ähnlich, wie wenn man arbeitet und zusammen sitzt, aber trotzdem eben ein bisschen anders. Man hat nicht diesen „Druck“, dass man ja gerade vielleicht putzen könnte oder Wäsche waschen, sondern man kann einfach die Zeit zusammen genießen. Das ist eben die Besonderheit des Live-In Lebens. Ich teile mir mit den Core Membern und meinen Kolleg*innen eine Küche, ein Esszimmer und ein Wohnzimmer. Dadurch findet man verständlicherweise kaum einen Zeitpunkt, an dem man ganz allein ist. Realistisch gesehen kann das natürlich auch von Nachteil sein, was ich besonders letzte Woche gemerkt habe, als ich das erste Mal so richtig krank war. Da bei uns gerade ein Magen-Darm-Infekt rumgeht, hat das natürlich auch mich erwischt. Von Dienstag bis Donnerstag ging es mir relativ schlecht, deshalb musste ich mich das erste Mal krankmelden, was unkompliziert mit einer SMS an meine Chefin ging. Dann war es natürlich aber auch so, dass ich irgendwann Hunger und Durst bekommen habe, weshalb ich nach unten gehen musste, um mir da was zu holen. Das fand ich schon etwas unangenehm, da ich ja eigentlich zu dem Zeitpunkt hätte arbeiten sollen, stattdessen kam ich das erste Mal um 15 Uhr runter und bin in Jogginghosen und Pulli den Kollegen begegnet, mit denen ich eigentlich gerade auf Schicht wäre, … Zwar haben die mich ganz lieb gefragt, wie es mir geht und ob ich etwas brauche, trotzdem war es eine komische Erfahrung für mich.